Le dauphin
Ausschnitt aus "Portrait Stephan Sachs"
Dr. Eva M. J. Schmid
epd Film | 05/1985 | 1985
[...] 5. Alle Filme von Stephan Sachs handeln von Sehnsüchten, Fantasien, Erinnerungen. Das Thema kulminiert in LE DAUPHIN, Auch dies ein denunziatorischer Film. Exotik wird als Klischee angeboten, aber dem Rezipienten wird hier die Chance zum kulinarischen Erleben nicht nur gelassen, sie wird ihm aufgedrängt. Er wird mit einbezogen in die Mentalität der Aussage, begreift sich selber als Kitsch-anfällig. Alles Gezeigte jedoch ist unwahr. Die Exotik findet im Gewächshaus statt, im Aquarium, die Wellen eines nördlichen Meeres werden zur Südsee, Südfrankreich zu Mexiko, die Rhododendron-Wälder der Bretagne zum Tropenwald. Illusionen. – Hier spielt Sachs differenzierter mit der Farbe als in den anderen Filmen: FA(H)R WEIT ist – abgesehen vom Anfang (blauer Anstrich, orangener Overall) eigentlich fast farblos. In SATOURNE gibt es zu Beginn und am Schluß kleine rote Farbtupfer: Blüten? Aber sonst wiegt hier ein türkisener Ton vor, der immer wieder mit gelben Lichtflächen durchsetzt wird. DIE INSEL ist penetrant 'bunt' gegen weiß-rot komponiert. In SORIA MORIA SLOT wechselt die Farbstimmung mit dem Bildthema – dazu hat sie natürlich immer eine bewußte Beziehung! Im Film LE DAUPHIN schließlich scheinen alle Farberfahrungen sich zu vereinen: pulsierendes Gelb, sattes Grün, bebendes dunkles Türkis, transparentes Blau, die Goldflitter auf den Fischleibern – ein Kaleidoskop in Zeitlupe. Aber nicht formalistisches Farbspiel, sondern aussagend, bedeutend. Nicht nur formal (und das bezieht sich nicht nur auf die Farbe) scheinen die Filme von Sachs, die ich kenne, sich im nachhinein als Vorstudien zum DAUPHIN erkennen zu lassen. Hier kommt nach den Etüden für je ein Instrument oder eine Gruppe das volle Orchester.
Ich würde gern noch über das Verhältnis des Film-Machers zur Perspektive schreiben, zur Arbeit mit Flächen und wie stark bei ihm Tiefe stets das Ergebnis von Bewegung zu sein scheint—aber: dann wird mein Beitrag für diese Zeitschrift zu lang! Doch eins ist mir noch sehr wichtig: stärker als in den anderen Filmen von Sachs, noch stärker, wird in LE DAUPHIN das Körpergefühl angesprochen. Die Motorik. Und die Wechsel der filmischen Bewegungen ergeben freie Rhythmen, in denen man beim Betrachten zum vorgestellten Mit-Tanzen stimuliert wird. Stephan Sachs arbeitet mit einer selbstgebauten optischen Bank. Die Geräte stammen vom Flohmarkt. Schrott, den Sachs für seine Zwecke ergänzt, umbaut. Er arbeitet mit geborgten Kameras und Projektoren. Er bastelt sich die Zusatzgeräte, die er braucht, je nach den Bedingungen seiner Arbeit, selbst. Seine Filme entstehen im Schnitt. Erst die Montage macht ihm bewußt, welche Aufnahmen er braucht. Dann dreht er zusätzliches Material neu. Manchmal bleibt so—wie im DAUPHIN— von der Ausgangsfassung kaum noch etwas übrig! Sachs arbeitet nach Partituren, nach gezeichneten Skizzen, nach zum Teil ausgezählten Takten, zum Teil nach gefühlten Rhythmen. Er probiert aus, entwickelt teilweise selber die Filmstreifen, betrachtet sein Material so oft am Schneidetisch, bis es, sich verselbständigend, ihm die endgültige Aussage demonstriert. Dann bekommt der Film in seiner Vorstellung Gestalt, der folgt er dann, beim Drehen und bei der weiteren Montage, auch bei den Verfremdungen des Materials, mit denen er die eigentlichen Wirkungen erzielt, aus Wirklichkeit Wahrheit macht. Er behält den intellektuellen Abstand, bleibt sich der Methode bewußt (jedenfalls bis zu einem gewissen Grade) und ironisiert sie in dem, was er schließlich als fertigen Film anbietet. Fabrizierte Wirklichkeit.
So wie er die optische Mitteilung verfremdet, mit seinen Bildern durch Bewegungen der Kamera und der Schnittfolgen von Einzelbildern, mit Brüchen, durch Bildauslassungen konzertiert, so spielt er auch mit dem Ton. Das Summen der Insekten zum Beispiel, der Wind, den wir zu hören meinen, entsteht auf Cello-Saiten. Der Cellist fantasiert. Der Musiker, der mit Sachs an LE DAUPHIN gearbeitet hat, malt selber. Es ergab sich eine echte Kooperation. Auch mit den musikalischen Zitaten wird verfremdend gespielt. Auch hier Frequenzveränderungen. Bach wird auf diese Weise verschnulzt und Bartok dämonisiert, aber sie werden seltsamerweise spezifischer, 'charakteristisch'. Die dramatische Überhöhung der Bildwirkung durch den Ton wird absichtlich überzogen. Ironie auch hier? Ich kenne wenig Filme, die mir so geeignet scheinen, Film als Illusion begreifbar zu machen. Wir scheinen uns dem Verständnis, was Film eigentlich ist, langsam zu nähern.