Le dauphin
Dr. Eva M. J. Schmid
Dokumentation Oberhausener Kurzfilmtage | 1986
Heinrich Heine, Buch der Lieder, Lyrisches Intermezzo XXXIII:
"Ein Fichtenbaum steht einsam/lm Norden auf kahler Höh'./
Ihn schläfert; mit weißer Decke/Umhüllen ihn Eis und Schnee.//
Er träumt von einer Palme,/die fern im Morgenland/
Einsam und schweigend trauert/Auf brennender Felsenwand."
Stephan Sachs kannte Heines Verse nicht. Mir fielen sie im Nachdenken über seinen Film ein. Da gibt es eine zerzauste Palme unter einem Dunstglockenhimmel, mit deren Wedeln der Wind sein Spiel treibt. Ich muß nicht wissen, daß sie in Essen steht. Aber - daß sie 'heimatlos' ist - sieht man das nicht? Es folgen 'vorgestellte', also assoziierte Tropenlandschaften. Südsee-Brecher, die am Ärmelkanal aufgenommen sind, Urwald aus dem Gewächshaus der Essener Gruga, Rhododendron-Wälder der Bretagne, durch die die Kamera dahingleitend saust wie durch die Blätter eines Traum-Waldes, Kakteengewächse gegen den Himmel der Provence, die aussehen, als seien sie in Mexiko gefilmt - all das ein Spiel mit dem 'Als-Ob'. Und wenn diese vorgestellten illusionären exotischen Regionen plötzlich zum 'Tableau' a la Zöllner Rousseau, wenn sie zu Tropenfantasien werden, dann decouvriert Sachs sein Thema und die Form.
Der Delphin, nach den~ der Film seinen Namen hat,. ist.nur einen Schwanzschlag sichtbar. Fast könnte man ihn übersehen, den Prinzen (=Dauphin!), dem - vielleicht - der Palme Sehnsucht gilt? Er wohnt gar nicht so weit weg von ihr, ist im Duisburger Zoo zu Hause. Und, die Ersatz-Palmen unserer Breiten, die in Feuerwerks-Kaskaden vom Himmel regnen, die gab es mal in Düsseldorf, ein japanisches Feuerwerk - immerhin! 'Zutaten', ein Spiel mit Klischees, ein Spiel das den unaufmerksamen Zuschauer narrt, ihm aufdringlich serviert, was ihm sein Vorurteil zu sehen suggeriert. Das geht bis zum Kokettieren mit sexuellen Symbolen, auf den Aha-Effekt des Rezipienten berechnet. In seiner konstanten Doppeldeutigkeit macht der Film sich lustig über Reise-Klischees, Kino-Klischees Experimentalfilm-Klischees. Das könnte alles platt sein, aber dazu ist es zu raffiniert auf jedes im Zusammenhang des Themas nur mögliche Klischee zugeschnitten: die Ironie ist unübersehbar. - Ist sie das? Hat der Film auch deshalb den Heine-Touch?
Das sind Fragen nach dem Film-lnhalt und nach der Aussage hinter der Mitteilung. Wo die Drehorte waren, ist natürlich nicht ablesbar, dazu bedarf es zusätzlicher Informationen durch den Film-Macher. Aber warum stellt man gerade nach diesem Film diese Fragen? Weil das Gewächshaus sich flüchtig als solches zu erkennen gibt? Oder wegen der exotischen Fische, die so offensichtlich im Aquarium leben? Oder liegt es an der eigentümlichen Irrealität der Bilder, daß wir erkennen, wie 'falsch' diese Exotik ist?
Für die emotionale Wirkung der Bilder ist aber das Dargestellte weniger entscheidend als ihre Raum-losigkeit und die Bewegungen. Zunächst ist die einsame Palme statisch, dann erst beginnt der Wind in ihren Kronen zu wühlen. Auch wenn die Wellen des Meeres auf den Rezipienten zueilen, wenn sie ihn fast überrollen, bleibt das Geschehen distanziert, wie hinter einer Glasscheibe. Die Sicht von oben auf die bildfüllende Fläche der 'kochenden' See: auch sie intensiviert den Eindruck von 'Bildhaftigkeit'.
Anders als diese Objektbewegungen funktionieren die mobilen Einsätze der Kamera. Der Zuschauer wird in einen Bewegungsrausch hineingerissen, der sich wiederholt und steigert und im variierenden Lichtspiel die Blätterwelt so verfremdet, daß man sich Irritationen ausgesetzt sieht, die einem den Boden unter den Füßen endgültig entziehen. Keins der Bilder hat allerdings 'Boden', auch die statischen Einstellungen nicht. Und weder die statischen Bilder noch die Objekt- oder Kamera-Bewegungen scheinen uns die filmisch-fotografisch gewohnten perspektivischen Seh-Weisen zu vermitteln. Auch nicht die Kakteensäulen, die vor dem Lichthimmel kreisen und die mit Einzeleinstellungen vegetativer Elemente wie mit Kriegsgerät, Morgenstern, Schwertern konfrontiert werden, die als optische Takte wirken.
Für die Fahrten ins Urwald-Dickicht hat der Film-Macher Seile gespannt, an denen die Kamera in die Bildtiefe gleitet - und wir mit ihr. Die Wiederholung der Fahrten an verschiedenen Tageszeiten bei unterschiedlichen Lichtwirkungen multipliziert den Eindruck: das Blättergewirr wird unendlich. Doch noch bleiben die Bewegungsphänomene 'real'. Erst wenn der sich steigernde Trommelwirbel von verfremdenden Einzeleinstellungen auf mich eindringt, verliere ich endgültig die Orientierung.
Was mir in diesem Film dargeboten wird, ist eine Art von optischem Konzert. Die Gefahr kunstgewerblicher Sterilität, auf die die Film-Macher und das Publikum hereinfallen könnten, wird vermieden, indem kein unausweichliches mathematisch technisches Kalkül durch exakte arithmetische Ordnungen angestrebt und vermittelt wird, sondern synkopenhaft ein emotionaler Rhythmus zugrunde liegt, der die Taktierung gegenläufig zerbricht. Das heißt nicht, daß der Film etwa keine durchaus spürbare Struktur habe. Die 'Stolpersteine', die sich der manieristischen Glätte in den Weg legen, sind selbstverständlich erst auf der Basis von Wissen und Anwendung von Ordnungen wirksam.
Der die Bilder und Bewegungen begleitende Ton ist sparsam eingesetzt. Oft ist die optische Komposition allein 'laut' genug. Der Film bleibt stumm. Doch wenn Musik oder Geräusch 'einbricht', 'ausbricht', wenn so etwas wie eine 'Zeichensetzung' den Text artikuliert, behält der Ton, trotz der filmüblichen 'dienenden' Funktion, eine ungewohnte Souveränität. Ebenso wie die optischen Eindrücke gerade in der Verfremdung Mitteilung und Aussage transportieren, werden hier die erkennbaren Zitate - meist durch Veränderung der Laufgeschwindigkeiten -bis zur 'Kenntlichkeit' verzerrt und verwandelt. Der emotionale Genuß wird auf diese Weise 'überzogen' und damit ebenfalls ironisiert.
Film als Illusion. Film-Wirkung als Illusion. Wer drauf hereinfallen will: Bitteschön. Aber: Film ist eben keine Wirklichkeit. Er spielt - immer - mit den Vorstellungen von Wirklichkeit, und er 'schreibt' 'erinnerte' Wirklichkeit auf. Und dazu bedient er sich der Poesie. Er vertraut auf die Logik der Bilder. Um sie verstehen zu können, muß ich Bilder lesen lernen. Und offen sein für ein nach-
vollziehendes Reflektieren.