Funde im Bruch-Rand
Karim Zendagui
Rheinische Post | 09.08.2003


"sugar B.", Film von Stephan Sachs, hatte jetzt bei den "hafenlichtspielen" Premiere. Aber Sachs ist kein Debütant; er kann schon ein vielgestaltiges Werk vorweisen. Gelegenheit für ein Porträt.

Über den Künstler als solchen erzählt man sich viele Geschichten. Will man sich nach diesen Geschichten ein Bild machen, lassen sich die unterschiedlichen Vorstellungen, Perspektiven und Bildausschnitte nicht reibungslos zum stimmigen Porträt vereinen. Lücken, Bräche und Leerstellen sind nicht zu übersehen, das Objekt der Betrachtung scheint immer wieder aus dem Focus zu rutschen.

So ergeht es auch James C. Booker, dem 1983 frühverstorbenen schwarzen Jazz-Musiker aus New Orleans, der für seine virtuosen und häufig aggressiven Live-Auftritte am Piano in der Stadt bewundert und berüchtigt war, im jüngsten Film von Stephan Sachs "sugar B. ". Der Film-Essay eröffnete auf dem Ueckerplatz die noch bis Sonntag stattfindenden und von der Filmwerkstatt Düsseldorf organisierten "hafenlichtspiele" und zeigt in perfekter Open-Air-Idylle mehr als nur Jazz an einem Sommerabend.

Im tropisch feuchten New Orleans scheinen die urbanen Legenden besonders üppig zu wuchern und außergewöhnlich schillernde Blüten zu treiben. Doch diese Geschichten über Macht und Geld, Ehrgeiz und Anpassungsverweigerung sind keine touristischen Besichtigungstouren ins malerisch Exotische. Auch gaukelt kein flüssiger, dem Rhythmus der Musik sich anschmiegender Schnitt dem Zuschauer und Hörer den gefälligen Konsum von Wahrheit und Gefühl vor. Der Film arbeitet mit dem unvermittelten Wechsel von Stimmung und Rhythmus; Gesehenes und Gehörtes behält seine Doppeldeutigkeit; häufige Auf- und Abblenden betonen das Nebeneinandergestellte des Gezeigten.

Denk mal am Deutschen Eck !

"Der Renitenz und Marktverweigerung von Booker gilt meine Sympathie, auch wenn er im Film als fast fiktive Figur nicht fassbar, nahezu wie ein Vexierbild erscheint. Deshalb war es mir wichtig, dass der Film nicht resignativ, sondern mit dem Gestus des Trotzdem endet", hebt der 1958 in Pforzheim geborene Stephan Sachs im Gespräch hervor. Sachs studierte in Nantes und Düsseldorf Kunst, sein ursprüngliches Interesse galt der Malerei und der Photographie; seit den frühen achtziger Jahren begleitet er mit seinen Arbeiten die Entwicklung des deutschen und internationalen Experimentalfilms.

Von einer zunehmenden Hinwendung zum Dokumentarfilm zeugen neben "sugar B." der 2001 fertiggestellte Film "auf Teufel komm raus", eine Dokumentation von Proben zu Arthur Millers Theaterstück "Hexenjagd", sowie "und sahen, was zu machen war. . ." (1994), eine glänzende Denkmals-Demontage, die das Reiterstandbild Wilhelms 1. in Koblenz am "Deutschen Eck" sozusagen satirisch unterminiert. Die gesellschaftlich-inhaltliche Ebene seiner Filme werde ihm immer wichtiger, bestätigt Sachs.

Wer aus dieser Perspektive einige seiner experimentellen Kurzfilme Revue passieren lässt, erkennt, dass die Spiele mit Form, Farbe und Montage stets auch Expeditionen in die künstlichen Vorstellungswelten unserer modernen Gesellschaft waren und bissig-ironische Kommentare zu herrschenden Geschlechterklischees boten. Ob in "Le Dauphin" (1986) exotisch-schwüle Pflanzen locken, in "Paramount" (1988) der Berg ruft oder in "Quay landing“ (1998) sich kalifornischer Körperkult ausstellt - stets zielt die Arbeit an der Form auch auf die gesellschaftlichen Effekte der Bilder.

Mit Seminaren, Gastvorträgen und Lehrveranstaltungen an Kunsthochschulen und Universitäten im In- und Ausland hat Stephan Sachs seine künstlerische Tätigkeit reflektierend ergänzt. Nach der Vorpremiere findet die offizielle Uraufführung von „sugar B.“ am 9. November in New Orleans statt.