Düsseldorf - Notizen am Rande
Der Glanz, der Krieg, das Leid
Sebastian Feldmann
Rheinische Post | 26.11.2005
Düsseldorf etwa 1920 bis 1955: Filmmacher Stefan Sachs hat auf Video und DVD die Stadtgeschichte penibel, politisch und phantasievoll zusammengestellt. Kann man kaufen an der Kasse des Filmmuseums für 19 bzw. 24 Euro.
Historisches Filmmaterial über Düsseldorf kannten wir bislang vor allem durch die zwei verdienstvollen Kassetten "Es rauscht der Rhein, es strömt das Leben". Also Teil I und II. Beide gehen vor allem auf professionell gefilmte Aufnahmen von Fritz Genandt zurück, dem Theaterleiter und Filmtheaterleiter von Apollo und Residenz. Genandt war ein Gamaschen- und Lackschuhmensch, der gern seine maßgeschneiderte Garderobe auf der Kö spazieren führte.
Er filmte also die Kö, die Blütenbäume im Hofgarten, die berühmte und tatsächlich bahnbrechende Ausstellung Gesolei (Gesundheit, Soziale Fürsorge und Leibesübungen). Er filmte das schicke und fortschrittliche Düsseldorf Selbstverständlich die Karnevalszüge. Die patriotische Nagelung des Bergischen Löwen. Circus-Umzüge durch die Graf-Adolf-Straße mit wilden Tieren. Und den Optimismus des Wiederaufbaus. Wertvolles Material, zweifellos. Aber Genandt filmte nicht die Nazihorden und nicht die Tage, da alles in Scherben fiel.
Jetzt hat der Düsseldorfer Filmmacher Stefan Sachs unter dem Titel "Düsseldorf - Notizen am Rande" die dringend notwendige Ergänzung zu den Genandt-Filmen als Video und DVD vor. Und da sieht das alles doch wesentlich anders aus.
Zwar greift auch Sachs auf das unentbehrliche Genandt-Material zurück. Aber er reichert es - aus dem Archiv des Filmmuseums und anderer Institutionen - mit der trüben Seite der Medaille an, mit dem
Krieg, den Kriegszerstörungen, Und plötzlich erfährt man, dass jener Genandt ' der sich so großbürgerlich und unpolitisch gab (dem man also eine Sympathie mit den ungehobelten Nazis keinesfalls unterstellen wollte), schon 1933 in die NSDAP eingetreten war.
Heimatkunde also, zweiter Teil. Gelungen, fast hundertprozentig. Erst einmal ist man irritiert beim Besuch des Reichspräsidenten Ebert über im Ton asynchrone Geräusche der Soldatenstiefel, asynchrones Pferdegetrappel (oder gar ein Verfremdungseffekt?). Aber dann wird man mehr und mehr eingenommen von der auch begrifflichen Schärfe, mit der Sachs die Wirtschaftskrise schildert. Die Gesolei ins Zwielicht schubst mit damals gängigen Formulierungen wie "Volkskörper", "Erbgut", gar "Rassenhygiene" in sarkastischen Montagen.
Natürlich gibt es auch Achterbahn, Badende im Rhein, Zeppeline. Doch Sachs montiert politisch. Schlageter kommt vor, der Besuch von Göring beim Gauleiter Florian, die Bücherverbrennung (Deutschlands erste, hier an der Rheinhalle).
1933 bekommt Gustav Lindemann Berufsverbot. Goebbels schwadroniert über die Altersversorgung der Künstler, während Regisseur Wolfgang Langhoff ins KZ Börgermoor muss (schreibt "Das Moorsoldatenlied"). Und dann fällt bei der Ausstellung "Schaffendes Volk" (6,9 Millionen Besucher) 1937 plötzlich der Satz, "die deutsche Wirtschaft muss in vier Jahren kriegsfähig sein". "Stummer Abschied" vom erschossenen Pariser Legationsrat Ernst von Rath hier mit dem "Führer" - direkt folgend die "Reichskristallnacht". Rheinmetall", die Waffenschmiede".
Trümmer, Fliegerangriffe, Zerstörungen gibt es ab 1942. Trotz Verbotes wurde das doch gefilmt. Im städtischen Auftrag? Die Quellenlage ist mitunter unsicher. Manchmal wird Sachsens Kommentar sentimental, pathetisch. Egal, es schaut alles verheerend aus, verheert. Große Opfer. Hunderte Zwangsarbeiterlager und -unterkünfte. Abnahme der jüdischen Population: 5053 (1933), 2042 (1938), 57 (1945).
Sachs schreibt tagebuchartige Brieftexte an einen imaginären Partner, bedient sich auch ironischer Bild-/Ton-Montagen. Auch beim Wiederaufbau. Ober die Kö heißt es 1951 von einem Sprecher überraschend, die "Spuren des Krieges sind nicht mehr zu erkennen".
Insgesamt bedient diese Kassette/DVD die Neugier sowohl der Heimatfreunde als auch der historisch-politisch denkenden Zuschauer. Viel wirkt neu. Trotz kleinerer Ausrutscher: Unentbehrlich.