Pararmount
Die Berge, Sie grüßen Dich

Johannes C. Tritschler
Out of Depression | 1988

Stephan Sachs hat sich in den vergangenen Jahren als einer der wichtigsten und interessantesten Experimentalfilmer der jüngeren Generation in Deutschland etabliert.

1958 in Pforzheim geboren. studierte er zwei Jahre an der „Ecole des Beaux Arts“ in Nantes und anschließend an der Kunstakademie in Düsseldorf. Seine Filme sind denn auch ein Beispiel für die enge Verbindung zwischen Experimentalfilm und Bildender Kunst und es ist oft schwierig eine klare Trennlinie zwischen “Film“ und "Kunst" zu ziehen - sie sind eben Filmkunst.

Nicht reduzierbar auf eine nachzuerzählende Geschichte ist es schwierig sich den Filmen von Stephan Sachs im Medium der Sprache zu nähern. Ihr besonderer Reiz ergibt sich aus der visuellen Überzeugungskraft der (Film-)Bilder. Der Umgang mit diesen Bildern erscheint souverän und genau durchdacht, obwohl sich Stephan Sachs bei den Aufnahmen weitgehend von seiner Intuition leiten läßt. Erst mit einem gewissen Abstand. wenn sich die Bilder von dem bei der Aufnahme Erlebten lösen, können sie zum "Material" werden, das dann neu gesehen und geordnet wird. Bilder, die mit konkreten Erinnerungen des Filmemachers verbunden sind, zeigen plötzlich eine Qualität, die sie auch für andere interessant machen. In der Nachbearbeitung wird durch Auswahl, Montage etc. die Relevanz der Bilder verdeutlicht und dem Film seine Form gegeben.

PARAMOUNT der letzte von Stephan Sachs fertig gestellte Film gehörte zu den besten Produktionen des vergangenen Jahres.
Der Inhalt: ein Mann besteigt den Berg - nicht mehr nicht weniger. Dies aber wird zum (Film-) Erlebnis. Wie ein "Heimatfilm" mit wunderschönen Landschaftsaufnahmen beginnend, entwickelt sich ganz allmählich ein anderes Bild - ein anderer Film. Man sieht einen Mann durch den Wald gehen, die Landschaft betrachten, sich ausruhen, an einem Gebirgsbach Wasser trinken. Doch die Kamera beobachtet nicht, sie gestaltet die Szenerie, indem sie ungewöhnliche Perspektiven einfängt:, deren Wirkung dann in der Montage verfeinert wird. Der Aufstieg geht weiter, die Kamera begleitet den einsamen Wanderer bis hinauf in die kalten Regionen der Gletscher. So wie sich die Umwelt verändert von der üppigen Vegetation hin zum ewigen Eis, so wechselt auch die Form des Films.

An dieser Stelle gibt es eine Neuerung im Schaffensprozeß von Stephan Sachs. Zum ersten Mal kombiniert er eigene Filmaufnahmen mit Fremdmaterial. wie man dies auch vom Osnabrücker Filmemacher Klaus Telscher kennt, der in PARAMOUNT in der Rolle des „Wanderers“ auftritt. Die Szenen im Eis sind dem Film "Deutsche Himalaya-Expedition 1933" entnommen und von Stephan Sachs weiter bearbeitet worden. Durch verschiedene technische Verfahren. wie Ausschnittsvergrößerung oder Wiederholungen wird ihnen eine neue Qualität abgerungen, die sie in das Gesamtkonzept eingliedert.
Was zunächst beeindruckt ist die geschlossene Gesamtform von PARAMOUNT.

Stephan Sachs komponiert mit Bildern und Tönen ein Kunstwerk das ästhetisch zu überzeugen weiß. Der visuelle Eindruck ist ungeheuer stark und wird durch die Tonspur unterstützt, wenn sich über Bild und Ton eine atemberaubende Rhythmik entwickelt. Szenen. wie jene in der, in streng kontrollierter Montage, Bilder immer schneller fließenden Wassers aufeinanderfolgen und das dazugehörige Rauschen immer lauter wird, bleiben haften. Doch die Tonspur verstärkt nicht nur den Eindruck, den die Bilder für sich genommen hervorrufen, sondern bricht zum Teil auch die von ihnen ausgehende Faszination. Wenn Musik ertönt, die an den Pathos alter deutscher Berg- und Heimatfilme erinnert - ein Pathos, der heute nicht mehr akzeptiert werden kann - wird plötzlich ein ironischer Blick eingenommen und werden die Bilder vom in die Sonne blickenden Wanderer zur Kritik einer bestimmten Art der Naturbetrachtung. Weder die alten Filmausschnitte noch Stephan Sachs' eigene Aufnahmen können dann noch einfach als "Kulturfilm" gesehen werden.

So beeindruckend vor allem die visuelle Qualität von PARAMOUNT ist, so wenig läßt sich der Film darauf reduzieren. Die Verwendung und Bearbeitung von Filmszenen, die aus einer Zeit stammen als "Die Natur" noch anders betrachtet wurde, weisen bereits darauf hin. Bedenkt man den Stellenwert, den der Berg- und Heimatfilm in der deutschen Filmgeschichte hat, so erscheint die Auseinandersetzung da mit in PARAMOUNT zwangsläufig. Stephan Sachs gelingt es dabei immer wieder die faschistoide Ästhetisierung von Natur, so wie sie in diesen alten Filmen zum Ausdruck kam, bloß zu legen und zu durchbrechen.

Aber in PARAMOUNT steckt noch mehr, läßt man den Assoziationen freien Lauf: "Ein Mann besteigt den Berg", ein Mann besteigt den Gipfel, ein Mann bewegt sich auf den höchsten Punkt/den Höhepunkt. Fast mag es so scheinen als sei das Besteigen des Berges in PARAMOUNT auch die Beschreibung eines sexuellen Aktes. Die Suche nach der "Einheit mit der Natur" als Ersatz für die vergebliche Suche nach der Einheit mit dem anderen Geschlecht.

Wie wird der Aufstieg geschildert? Ruhig und langsam beginnt der Weg nach oben, ehe die Heftigkeit der Natur (welcher Natur, der männlichen?) und die körperlichen Anstrengungen in den eisigen Gipfelregionen zunehmen. Gleichzeitig brechen hier auch Gefühle der Einsamkeit und Isolation ein, ehe sich die Spannung in einem triumphalen Blick in die gleißende Sonne, untermalt von pathetischer Musik, löst. Die letzten Szenenstellen dann wieder jene Ruhe her, wie sie zu Beginn vorherrschend war.

Mit PARAMOUNT hat Stephan Sachs einen weiteren Entwicklungsschritt getan. Waren die früheren Filme, wie LE DAUPHIN, sehr stark auf die Form konzentriert - wenn auch niemals nur formale Spielerei - so findet sich in PARAMOUNT eine engere Verbindung von Form und inhaltlichen Aussagen. Trotzdem ist auch PARAMOUNT in erster Linie ein visuelles Erlebnis. Was sich hier in gut zwanzig Minuten vor den Augen des Zuschauers entfaltet, ist filmische Gestaltung vom Feinsten.