Portrait Stephan Sachs
Veronika Rall
epd Film 11/94 | 1994


Stephan Sachs lebt seit 1981 in Düsseldorf, hier hat er angefangen, Filme zu machen. Sein Atelier befindet sich gegenüber vom Hochsicherheitstrakt des Landgerichts, wo häufig genug Kameras aufgebaut sind, die die Zeitgeschichte fürs Fernsehen festhalten.
Dieser Tage sind es die mutmaßlichen Täter von Solingen, über die hier judikativ und medial gerichtet wird. An dieser Art von Zeitgeschichte, auf die er die Kamera fast aus dem Fenster halten könnte, liegt Sachs wenig: Bis zu seinem jüngsten Film fällt sie aus seinen Filmen heraus. Es ist nicht das äußere Ereignis, das sein filmisches Interesse weckt, sondern vielmehr die innere Bewegung, heimliche Gefühle und erotische. Exotische Projektionen. So entstanden SATOURNE (1983), SORIA MORIA SLOT(1985) oder Le DAUPHTN (1986).

Auch der 1990 entstandene BRUT ou À FLEUR DE PEAU gehört zu diesen ,,intimen" Filmen. Nach einer endlos scheinenden Kamerafahrt entlang eines Flußufers beginnt eine Handkamera, einen Frauenkörper abzutasten. der an einem heißen Sommernachmittag zwischen weichen, weißen Laken liegt. Die Kamerabewegungen folgen dem Körper der Frau, die sich räkelt, die Beine langsam aneinander reibt, die Zehen in die Matratze gräbt, sich wendet. Auf der Tonspur Flugzeugmotoren, Kinder, die im Hof spielen. Und dazwischen, wie Pausen, gänzlich statische Aufnahmen von Parks, die eingeschlafen scheinen in der drückenden Hitze, dann wieder der Körper, als triebe es den Blick in diese Nähe.

Die Kamera wird ein Sinnesorgan, sie streichelt den Körper und kann ihm doch nicht nah genug sein. Hier beginnt Sachs plötzlich, rhythmisch zu schneiden, die Bilder zerfließen beschleunigt in der optischen Bank; Details des Körpers wechseln mit Negativaufnahmen nasser Blätter: Film als Liebesakt. Und so endet er in der Apotheose des Blicks auf die Feuchtigkeit der Brunnen in der lähmenden Hitze des Sommertags.

Doch schon PARAMOUNT (1988) hatte das Interesse des Filmemachers von der Bebilderung der Innerlichkeit zum Spiel mit Repräsentationsformen verschoben. Hier geht es um den Bergfilm - ein von den Zwanzigern bis in die Sechziger Jahre weit verbreitetes deutsches Genre. Der Film beginnt pastoral in einer sanften, grünen Berglandschaft, an einem kleinen Bach. Doch wenn der Protagonist (der Osnabrücker Filmemacher Klaus Telscher) diese Bühne betritt, gerät die Romantik ins Wanken: Sein Körper gehört nicht in diese Landschaft, seine Bewegungen sind nicht die eines Wanderers. Wenn er sich schließlich auf einem Felsen niederläßt und statt der Brotzeit den Tabak auspackt, paßt die Geste eher zum Flaneur der Großstadt, der gleich einen Aperitif bestellen wird, als zur romantisch verklärten Bergwelt. Sachs treibt die Unstimmigkeit der Bilder an dieser Stelle mit einem Motorengeräusch auf der Tonspur auf die Spitze, um dann tatsächlich den Gewaltmarsch in die höheren Bergregionen anzutreten.
Damit ist der Schritt von der Romantik zur filmischen Bilderwelt von Arnold Fanck und Leni Riefenstahl getan. Weiße Gebirge türmen sich vor einem leicht bewölkten Himmel, Hände und Füße graben sich in die unantastbaren eisigen Regionen. Hier greift Sachs auf einen Werbefilm für Gebirgsjäger zurück. In endlosen Loops, die den Sprung über eine Gletscherspalte von unten heroisch aufnehmen, zeigt sich einerseits die Kraft, die die Bezwingung einer ,,feindlichen" Natur fordert, andererseits die Austauschbarkeit der uniformierten Körper. Die Panoramaaufnahmen hingegen nehmen den ,,Sieg" vorweg: Durch den Rotfilter gleißen Sonne und Berge, der Himmel wirkt fast schwarz. Die Anlehnung an faschistische Imagos ist gewollt: ,,Im Faschismus muß alles bombastisch, aufgeblasen werden, und die Berge taugen recht gut dazu ...", sagt Sachs, ,,aber ich wollte keine direkte Verbindung zu diesen Filmen – eine Sequenz aus Riefenstahls Filmen oder Musik von Wagner - das wäre zu direkt gewesen."

Sachs illustriert Männerphantasien, in denen die Natur zur Frau wird, bricht sie zum Ende jedoch im Kitsch, in einem Happy-Ending à la Hollywood. Ein Adler scheißt ins Nest, und Telscher sitzt vor dem Bergpanorama und trinkt endlich den Wein, den wir ihm schon in der ,,romantischen" Sequenz gern gereicht hätten. Der Experimentalfilmer auf der Höhe des ,,Paramount" - das ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit männlichen, deutschen Höhepunktsphantasmen, sondern auch eine ironische Note auf die gegenwärtige Filmkultur.

An der École des Beaux Arts de Nantes, wo er zwischen 1979 und 1981 studierte, hatte Stephan Sachs sich mit Malerei und Fotografie beschäftigt, aus der Serienfotografie und verschiedenen Diaprojekten wandte er sich später dem Film zu. Das ist insofern wichtig, als Sachs auch heute noch oft mit einer statischen Kamera arbeitet, die den Blick des Publikums auf ein Objekt konzentriert, mit Einzelbildern, die nachträglich an der optischen Bank rhythmisch montiert werden, mit Schwarzfilm, der dem Auge ein Nachbild, eine Sehpause gewährt. Diese ästhetische Strategie ist bis in seinen jüngsten Film UND SAHEN, WAS ZU MACHEN WAR... zu verfolgen. Sein äußerer Gegenstand ist die Wiederaufstellung des Reiterdenkmals Wilhelms I. auf dem Deutschen Eck in Koblenz, die vor allem von dem Industriellen Werner Theisen betrieben wurde. Distanziert beobachtet Sachs in Einzeleinstellungen den Fertigungsprozeß dieser monströsen Figur, doch die Tonspur provoziert sogleich: quietschendes Styropor läßt uns die Haare zu Berge stehen, später hören wir klatschenden Schlamm. Bis zu dieser Stelle enthält sich der Film eines wörtlichen Kommentars, doch der eigentliche Gußprozeß wird mit belehrenden Phrasen versehen, die an Bildungsfilme des IWF erinnert, mit denen man uns in der Schule quälte: ein Seitenhieb auch auf eine Dokumentarfilmtradition.

,,Billige Ironie" wurde Sachs in der Diskussion nach der Uraufführung in der Düsseldorfer Black Box vorgeworfen. Diese liegt jedoch eher am Sujet, als daß sie am Film zu fixieren wäre. Im zweiten Teil beschäftigt sich Sachs mit der Debatte, die um die Wiedererrichtung des Denkmals geführt wurde, und entlarvt auch dieses Projekt als das einer männlichen Reproduktion: Erinnerungen an PARAMOUNT werden wach, wenn die Bildhauer die Statue wie einen Berg besteigen; irritiert sitzt Frau Theisen neben ihrem Mann, wenn dieser von einem gemeinsamen doppelten Jubiläum (30 Jahre Ehe, sein sechzigster Geburtstag) spricht. Prof. Ludwig hingegen beschimpft den Infanteristen - der den ungeheuren Spaß hatte, die Scheußlichkeit vom Sockel zu schießen - als ,,kulturlosen, wildgewordenen Amerikaner". Sachs (weniger wildgeworden, mehr kulturell) gönnt sich das Vergnügen, die Statue langsam zu demontieren. Wenn das Reiterdenkmal schließlich am Sedanstag auf den Sockel gehoben wird, hat es der Film als deutsche Imagination des „Wieder", der Wiedervereinigung, des Wiederaufstellens, auseinandergenommen.
UND SAHEN, WAS ZU MACHEN WAR ist ein Film, der in der Gegenläufigkeit von Montage und Demontage die Besinnung auf eine historische Restauration als den Zeitgeist der Spätgeborenen skizziert. Sachs ist hier weder bitter und ernst, noch erhebt er oberlehrerhaft den Zeigefinger. Er montiert das Material vielmehr zu einer Satire, zu einer Karikatur. Auch das hat Tradition, allerdings eine franco-alemannische, mit der sich die puritanische Kulturkritik niemals angefreundet hat.

Denn sie bleibt einer Phänomenologie verpflichtet, die nicht richtet wie Judikative und Medien, sondern erst einmal zeigt. Oder wie formuliert Karsten Witte im filmischen Zitat: ,,Ich würde auch davor warnen, jetzt Feindbilder, Frauenbilder, Männerbilder gleich festzuschreiben, und doch erst mal nach der Ambivalenz dieser Repräsentanzen fragen, die für mich sehr viel interessanter sind, insofern sie noch nicht gerichtet scheinen." Diese Spannungen zu provozieren und auszuhalten ist eine Qualität der langsamen Bilder von Stephan Sachs, die manchem Publikum erst im Nachbild deutlich wird.