und sahen, was zu machen war...
Ein Kaiser wird rekonstruiert
Hartmut W. Redottée
Kino Kommunale | 1995


Zwei Männer bei der Arbeit: Styroporblöcke werden zusammengesetzt. Kaum sind sie aufeinandergeschichtet, beginnen die beiden Männer, sie abzukratzen, abzuschaben. Leise rieselt der Styroporschnee auf die Kamera herab. Formen schälen sich heraus: Hufe, Pferdebeine, zwei riesige Hoden. Kaum sind die Schabegeräusche verstummt, werden die Formen mit nassen Tüchern belegt, Gips wird aufgetragen. Eine Frauenstimme singt ein Schubert-Lied.

Eine riesige eingerüstete, verhüllte Frauengestalt. Das Schwarz-Weiß-Bild färbt sich langsam: Weiß-Rot-Blau. Zu den Tricolore-Farben singt eine Frauenstimme ein Chanson aus der französischen Revolution.

Die Skulptur wird auseinandergenommen, der Kopf schwebt an einem Kran herab, die Skulptur wird zusammengesetzt, der Oberkörper auf ein Fragment gehievt, die Skulptur wird zersägt, zerlegt ...

Ein Prinzip, ein Thema des Films wird in den Eingangssequenzen vorgeführt: Montage - Demontage. Ständig wird in dem Film etwas hergestellt, auseinandergenommen, zusammengesetzt, zerstört: Schließlich geht es in diesem Film um die wechselvolle Geschichte eines Denkmals: der Reiterstatue Kaiser Wilhelms I., der "Wacht am Rhein" am "Deutschen Eck" in Koblenz der Mündung der Mosel in den Rhein. Es geht um die Errichtung dieses Denkmals, seine Zerstörung gegen Ende des Zweiten Weltkriegs durch den Kanonenschuß eines amerikanischen Soldaten - nur der Kopf blieb erhalten! - es geht um die Rekonstruktion dieses Denkmals.

Und natürlich ist diese Thematik ein eminent filmisches Sujet: zerschneiden und zusammenfügen, demontieren und montieren. Auf nahezu allen Ebenen spielt Stephan Sachs mit diesem Thema, der Montage. Und er mischt kühn die Zeiten, die Stile, die Formen, die Inhalte. Kunstvoll werden die zeitlichen Abläufe durcheinandergeschüttelt, absichtlich wird der Sucht des Betrachters, sich im zeitlosen Ablauf des Geschehens orientieren zu wollen, zuwidergehandelt. So daß der Zuschauer an die Stelle der eindeutigen Information seine produktiven Assoziationensetzen muß.

Das erinnert an Verfahrensweisen der Surrealisten. Schon die Zwischentitel, die so etwas wie ein zeitliches Kontinuum vorgaukeln, lassen an Bunuels UN CHIEN ANDALOU denken: April 1991 - Einige Monate zuvor - Wenige Tage später - ~Juli 1991 - Tag der deutschen Einheit. - ...

Das Spiel mit den Assoziationen des Betrachters wird von Stephan Sachs raffiniert auf allen Ebenen ausgekostet. Auf die fast rätselhaften Aktivitäten der Kunsthandwerker im ersten Teil, die kommentarlos bruchstückweise uns vorgeführt werden und bei denen wir uns ständig unwillkürlich fragen: Was machen die da eigentlich?, folgt später ein Stück deutscher "Kulturfilm" über die Technik des Bronzegusses. Täuschend echt imitiert Stephan Sachs den schulmeisterlich belehrenden Ton deutscher "Unterrichtsfilme" etwa der 50er Jahre.

Leitmotivisch werden die Farben der Tricolore des öfteren ins Spiel gebracht und lassen damit ein Stück französischer Geschichte aufleuchten. Schließlich war (und ist) das Kaiserdenkmal auch ein Denkmal für den "Sieger" über Frankreich 1871. Und irgendwann werden wir, fast nebenbei,auch daran erinnert,daß Wilhelm I.als Kronprinz ein berühmt-berüchtigter Feind der 48er-Revoutionäre war!

Blau-Weiß-Rot taucht wieder auf, wenn ein Fragment des Kaisers mit riesiger geballter Faust transportiert wird zu den Klängen eines sowjetischen Revolutionsgesanges. An anderer Stelle erfahren wir, daß zur Zeit ja Bronze zum Gießen von Monumentalskulpturen recht preiswert aus den östlichen Nachbarstaaten zu beziehen ist.

Ton-Zitate aus einem Film der Nazi-Zeit "feiern"die Sieger von 1871 und Bismarck, den Schöpfer der deutschen Einheit. Und Theodor Heuß ernennt den Torso des seines Kaisers beraubten "Deutschen Ecks" 1953 zum "Denkmal der deutschen Einheit".

Markierungslinien, Ziffern und Buchstaben zur Kennzeichnung von Skulpturenteilen werden kombiniert mit einem gesprochenen Text über den Zusammenhang zwischen Krieg und Kino und werden dadurch zu Skizzen strategischer Aufmarschpläne und Frontverläufe.

"und sahen, was zu machen war ..." ist ein Meisterstück ironischer Brechungen, die das Gezeigte ständig hinterfragen. Auch Selbstzitate können dazu dienen: Das eingerüstete Denkmal wird von den Handwerkern erklommen wie "der heilige Berg" und dazu hört man heroisierende Windgeräusche aus Stephan Sachsens PARAMOUNT.

Satirische Momente entstehen, wenn in all der auf- und abbauenden Betriebsamkeit die geschäftigen Kunsthandwerker in kurzen Arbeitspausen plötzlich wie rat- und hilflos in der Gegend herumstehen: Was machen wir da eigentlich?
Oder wenn der großzügige Stifter des restaurierten Denkmals samt rekonstruiertem Kaiser ins Bild kommt, - der großzügig Schenkende, der leider seinen Triumph nicht mehr erleben durfte.

Oder wenn der kunstsammelnde Schokoladenfabrikant sich eindeutig zu dieser deutschen Kulturtat bekennt und sich damit freiwillig öffentlich bloßstellt.

Touristen verwandelt der Ort in losgelassene Chauvinisten, Karnevalsumzüge werden zu so lächerlichen wie bedrohlichen Militärmärschen, während die Bilddokumente von der Einweihung des Denkmals durch Wilhelm II. anno 1897 einem nationalistischen Karneval gleichen.

Politische Abgründe tun sich auf, wenn in einer kurzen Montage uns bewußtgemacht wird, daß der rekonstruierte Kaiser am 2. September 1993 auf seinen Sockel gestellt wird, exakt 122 Jahre nach dem Tag von Sedan, dem 2. September 1971. Welch eine Ohrfeige für den westlichen europäischen Partner Frankreich!

"und sahen, was zu machen war ..." ist kein "Dokumentarfilm". Es ist natürlich auch kein "Spielfilm, und es ist auch kein "Experimentalfilm".
Dieser Film verweigert sich allen ohnehin schon unbrauchbar gewordenen herkömmlichen Gattungsbegriffen.

"und sahen, was zu machen war ..." ist eine poetische Reflexion mit ureigensten filmischen Mitteln über unser verkorkstes Verhältnis zur Geschichte, über einen neuen deutschen Nationalismus nach der "Wende", über Restauration und Rekonstruktion. Und über vieles andere mehr.

Nicht zuletzt ist es natürlich überhaupt nicht nur ein "Film über ...", sondern vor allem ein großes Vergnügen.

In Frankreich gibt es den schönen Begriff "film d'essai". Ich würde den Film von Stephan Sachs am liebsten einen "Film-Essay" nennen.