und sahen, was zu machen war …
Stephan Sachs – Eine Werkschau
Arsenal 2005
(Freunde der deutschen Kinemathek, Berlin)
In den achtziger Jahren gab es eine erstaunliche Blütezeit des Experimentalfilms in Deutschland, die sowohl Video- als auch installative Arbeiten miteinbezog. Filmförderungsmodelle, die nach dem Oberhausener Manifest entstanden waren, Festivals, Verleihstrukturen und Ausbildung bildeten einfruchtbares Umfeld – die Früchte der zurückliegenden Aufbruchsjahre seit den 60er Jahren im filmischen Bereich der politischen und ästhetischen Avantgarde. In den 90er Jahren war einiges davon bereits wieder abgeebbt, der Experimentalfilm wurde für einige Jahre in den Elfenbeinturm verwiesen.
In der jüngsten Zeit zeichnet sich wieder ein verstärktes Interesse auch an der Geschichte des deutschen Experimentalfilms ab. Und so präsentierenwir nicht nur eine Werkschau anlässlich des 60. Geburtstages von Klaus Wyborny (S. 1), sondern auch ein Wochenende mit Stephan Sachs, der in den frühen 80er Jahren an der Kunstakademie Düsseldorf studierte. Er begann damals mit einem Oeuvre, das sich weniger an äußeren Ereignissen noch an einem reinem Forminteresse festhielt, sondern sich vielmehr inneren Bewegungen und Projektionen zuwandte. Christine Noll Brinckmann, selbst Filmemacherin und Filmwissenschaftlerin, die die Geschichte des Experimentalfilms in Deutschland stark mitgeprägt hat, führt gemeinsam mit Stephan Sachs an zwei Abenden durch sein Werk.
„Sachs“, schreibt sie im Experimentalfilmkapitel der von Jacobsen, Kaes und Prinzler herausgegebenen „Geschichte des deutschen Films“, „hat sich 1986 mit le dauphin einen Namen gemacht, einem Film, der sich vor allem durch seine dynamische Bewegung auszeichnet. Elemente der Flora und Fauna werden von einer mobilen, gelenkigen Kamera durchstreift, die erotische Assoziationen freisetzt, aber zugleich die Gegenständlichkeit der Fotografie in fast abstrakte Kompositionen aus Form und Farbe überführt. Sachs arbeitet hier mit der optischen Bank, um jede Nuance zu kontrollieren. le dauphin entfaltet eine psychedelische, nachgerade taktile sensuelle Üppigkeit, die Essenz von Exotarien und Treibhäusern, wie sie im strengeren Stil der 70er Jahre nicht denkbar gewesen wäre.“ „Ein späterer Film von Sachs,“ so Brinckmann weiter, „paramount, fällt nur noch zum Teil in den Bereich des (formalistischen) Experimentalfilms: eine Folge der herrschenden Tendenz, essayistisch-ideologiekritisch zu arbeiten, und der Lust vieler Filmemacher, gefundenes Material mit selbstgedrehten Szenen zu durchmischen, sodass ein gedanklicher Diskurs entsteht. In paramount geht es darum, Bergsteiger-Ideologien, Kulturgut aus der europäischen Romantik und aus dem Faschismus hevorzutreiben und den Männlichkeitswahn vom einsamen Helden in der Natur zu entlarven: Beides geschieht auf sehr gescheite Weise und mit einem Schuss Faszination. Sachs setzte diese Tendenz mit UND SAHEN, WAS ZU MACHEN WAR (1991–94) fort, einer experimentellen Dokumentation, welche die Wiedererstehung und Neuaufrichtung des Kaiser-Wilhelm-Reiterdenkmals auf dem Deutschen Eck in Koblenz teils lyrisch-atmosphärisch, teils mitideologiekritischer Ironie begleitet.“ „UND SAHEN, WAS ZU MACHEN WAR“, ergänzt Veronika Rall in einem epd-Porträt, „ist ein Film, der in der Gegenläufigkeit von Montage und Demontage die Besinnung auf eine historische Restauration als den Zeitgeist der Spätgeborenen skizziert. Sachs ist hier weder bitter und ernst, noch erhebt er oberlehrerhaft den Zeigefinger. Er montiert das Material vielmehr zu einer Satire, zu einer Karikatur.“ (10.6.)
Das Rohmaterial des Films AUF TEUFEL KOMM RAUS (2001) entstand bei Probenarbeiten zu Arthur Millers Theaterstück „Hexenjagd“. Es wurde 1999/2000 von Davud Buchehri am Staatstheater Darmstadt inszeniert. Der Film ist weder die Dokumentation einer Inszenierung noch die Verfilmungeines Theaterstücks. In „Hexenjagd“ geht es unter anderem um die Verflechtung privater Interessen mit gesellschaftlichen Mechanismen. 60 Stunden Material waren das Ergebnis der beobachtenden Teilnahme des Filmemachers an der intimen Probesituation. Das entstandene Spannungsfeld zwischen Privatem und Öffentlichem ermöglicht einen neuen Zugang zu Millers Stück. Wir zeigen diesen Film zusammen mit DIE INSEL, einer Gemeinschaftsarbeit mit François Guiton aus den achtziger Jahren. „sugar B.“ (2002) nennt Stephan Sachs „eine Südstaatenballade“. Es geht um einen Musiker, doch der Film ist weder ein Künstlerporträt noch ein Musikfilm. Den roten Faden bildet die Recherche über den 1983 früh verstorbenen Jazzmusiker James C. Booker. Er war der „Pianoprinz“ von New Orleans. Virtuose Stilsprünge und gewagte bis schräge Arrangements waren seine Spezialität. Er spielte mit berühmten Musikern, von denen er einigenachhaltig beeinflusste. Die große Anerkennung blieb ihm jedoch verwehrt. Er hatte das Zeug zum Star, galt aber in mancherlei Hinsicht als unberechenbar. Der Versuch der Annäherung an diese schillernde Persönlichkeit führt zu Fragen nach der Positionierung des Künstlers, nach Selbstinszenierung und Fremdbestimmung, nach Privatheit und einer Öffentlichkeit, die von kommerziellen Interessen geprägt ist. „sugar B.“ enthält verschiedene, ineinander verschachtelte Ebenen. Einige Passagen sind grell und bunt, andere leise und stimmungsvoll. Der Film, gleichzeitig auch ein Portrait der Stadt New Orleans, ist umgeben von Musik und visueller Üppigkeit. Auch der Kurzfilm QUAY LANDING (1998) handelt vom Sehen und Gesehen werden.
(10. & 11.6., in Anwesenheit von Stephan Sachs, Moderation: Christine Noll Brinckmann).