Visuelle Überzeugungskraft
Johannes C. Tritschler
Berner Zeitung BZ | 1.11.1989
Heute zeigt das Kino im Kunstmuseum Bern eine Auswahl von experimentellen. Kurzfilmen des Düsseldorfer Filmemachers Stephan Sachs. Mit seinen Filmen hat sich Stephan Sachs in den letzten Jahren seinen Rang als einer der wichtigsten und interessantesten Experimentalfilmer der jüngeren Generation in Deutschland geschaffen und dafür etliche Auszeichnungen erhalten. Sachs studierte zwei Jahre an der «Ecole des Beaux Arts» in Nantes und anschließend an der Kunstakademie in Düsseldorf. Seine Filme sind ein Beispiel für die enge Verbindung zwischen Experimentalfilm und Bildender Kunst.
Nicht reduzierbar auf eine nachzuerzählende Geschichte, ergibt sich der besondere Reiz der Filme von Stephan Sachs aus der visuellen Überzeugungskraft' der (Film-) Bilder. Der Umgang mit den Bildern ist souverän und genau durchdacht, obwohl sich Sachs bei den Aufnahmen weitgehend von seiner Intuition leiten lässt. Erst mit einem gewissen Abstand, wenn sich die Bilder von dem bei der Aufnahme Erlebten lösen, können sie zum «Material» -werden, das dann neu gesehen und geordnet wird. Bilder, die mit konkreten Erinnerungen des Filmemachers verbunden sind, zeigen plötzlich eine Qualität, die sie auch für andere interessant machen.
Immer wieder hat Sachs die Natur zum Ausgangspunkt seiner Filme gewählt, die bei ihm dann zum «Spielball» der Gestaltung wird. In extrem verfremdeter Form findet dies in dem frühen Film «Die Insel» statt. Bei «Soria Moria Slott» werden Bilder eines vorlesenden Mädchens mit den Aufnahmen eines Waldes kombiniert, von dem durch «schaukelnde» Kamerabewegungen immer mehr erfasst wird. In «Le Dauphin» wird mit einfachen Landschaftsbildern durch Verfremdung die Illusion von Exotik erzeugt. Auch mit seinem letzten Film «Paramount» . ist Stephan Sachs in der 'Natur geblieben. Ein Mann besteigt den Berg - nicht mehr, nicht weniger. Wie ein «Heimatfilm » mit wunderschönen . , Landschaftsaufnahmen beginnend, entwickelt, sich ganz allmählich ein anderes Bild, ein anderer Film. Die Kamera beobachtet nicht, sie gestaltet die Szenerie, indem sie ungewöhnliche Perspektiven einfängt, deren Wirkung dann in der Montage verfeinert wird. So wie sich die Umwelt verändert, von der übrigen Vegetation hin zum ewigen Eis, so wechselt auch die Form des Films. Sachs kombiniert eigene Filmaufnahmen mit Fremdmaterial, das er weiterbearbeitet hat. Dadurch wird diesem eine neue Qualität abgerungen.
Stephan Sachs komponiert mit Bildern und Tönen ein Kunstwerk, das ästhetisch zu überzeugen weiss. Dabei verstärkt die Tonspur nicht nur den Eindruck, den die Bilder für sich genommen hervorrufen, sondern bricht auch die von ihnen ausgehende Faszination. Wenn Musik ertönt, die an das Pathos alter deutscher Berg- und Heimatfilme erinnert, wird ein ironischer Blick eingenommen und die Bilder werden vom in die Sonne blickenden Wanderer zur Kritik einer bestimmten Art der Naturbetrachtung. Sachs gelingt es immer wieder, die faschistoide Ästhetisierung von Natur, wie sie in alten Bergfilmen zum Ausdruck kam, blosszulegen.
Waren die früheren Filme sehr stark auf die Form konzentriert, wenn auch nie nur Spielerei, so findet sich in «Paramount» eine engere Verbindung von Form und inhaltlicher Aussage. Dabei stellt auch dieser Film in erster Linie ein visuelles Erlebnis dar. Was sich hier in gut zwanzig Minuten vor den Augen des Zuschauers entfaltet, ist filmische Gestaltung vom Feinsten.